Stimmen: Nicola Hodges

Dieser Blog wäre nicht vollständig ohne die Künstler:innen, die mich auf dem Weg mit Hilfe und Inspiration unterstützt haben. In der Serie „Stimmen“ sollen ihre künstlerischen Herangehensweisen und ihr Verhältnis zu ihrer Umgebung beleuchtet werden. Die erste Interviewpartnerin ist Nicola Hodges, eine textile Handwerkerin und angehende Parkrangerin in Vancouver.

Wie bist du zum Stricken gekommen?

Als ich elf war, habe ich ein Stricklernbuch bekommen, mit dem ich die Grundlagen gelernt habe, aber so richtig angefangen habe ich mit fünfzehn, während ich als Babysitterin für die Textilkünstlerin Kirsten Zerbini gearbeitet habe, die mir viele Hilfsmittel gegeben und mich sehr inspiriert hat. Seitdem bin ich im Strickfieber.

Wie würdest du die Textilszene in Vancouver beschreiben?

Ich fand sie immer ziemlich groß, gerade im Verhältnis zur Größe der Stadt. Es gibt viele Wollwarengeschäfte, die alle ihre eigenen Handwerksgemeinschaften haben. Es leben auch viele Designer:innen von Strickmustern hier, die in der internationalen Strickszene bekannt sind. Über das Stricken hinaus gibt es allerdings eine große Vielfalt. Es scheint eine Spaltung zu geben in „Kunsthandwerk“ und „Textilkunst“. Ich glaube, es besteht ziemlicher Druck, sich als „Textilkünstler:in“ zu identifizieren, um mehr Ansehen oder Glaubwürdigkeit zu gewinnen, also schon eine Art Hierarchie zwischen den beiden Szenen. Wo ich jetzt arbeite, befinde ich mich im Zwischenbereich, aber ich fühle mich ehrlich gesagt wohler mit der Bezeichnung „textile Kunsthandwerkerin“, weil sie meine Herangehensweise besser beschreibt.

Was bedeutet es heutzutage, Dinge von Hand und mit natürlichen Materialien herzustellen?

Ich glaube, dadurch, dass immer mehr Menschen von der Natur abkoppelt sind und sich stärker den Welten und Systemen zuordnen, die wir selbst geschaffen haben, entsteht ein Gefühl von Sinnverlust oder fehlender Erfüllung. Ich bin nicht gegen Technologie, aber ich will Gleichgewicht, ich will eine Verbindung mit der Erde, und die kann ich bekommen, indem ich mich durch handwerkliche Arbeit meiner Umwelt annähere. Der Einsatz von natürlichen Materialien, die ich selbst in Gärten sammle, kann eine Art verkörpertes Wissen über Jahreszeiten, Umgebungen und Leben schaffen, das ich nicht bei einem Schreibtischjob oder online finden kann. Dinge mit der Hand herzustellen ist eine eigentümliche Sache, es erdet dich, gibt dir eine Perspektive, und ich finde, es macht Spaß! Im Moment fühle ich das stärker bei der Arbeit mit anderen Materialien, aber ich habe diese Reise mit dem Stricken begonnen, und wenn ich Garn und Wolle von Tieren benutze, die ich kenne oder deren Herkunft ich direkt nachvollziehen kann, bekomme ich ein Gefühl für das große Ganze. Ich glaube, viele Leute bemerken das gerade und machen sich auf den Weg herauszufinden, wo sich das Gleichgewicht für sie befindet.

Du warst länger in Mexiko, Island und Schottland, um mehr über die dortigen Textiltraditionen zu lernen. Wie beeinflusst das deine Arbeit?

Seitdem ich wieder zu Hause bin, habe ich festgestellt, dass ich viel mehr über meine eigene Herkunft im Zusammenhang mit Textilien nachdenke. Ich habe Vorfahren aus Schottland und aus Skandinavien, und beide Traditionen gefallen mir sehr. Ich beschäftige mich gern mit traditionellen Textilien, fertige manchmal darauf basierende Werke an und nutze sie, um einen neuen Blick auf die Dinge meines alltäglichen Lebens und meiner Umgebung heute zu bekommen. Ich finde es auch einfach schön zu sehen, was für tolle Dinge Leute machen und  auf was für spannende Ideen sie kommen, das ist einer der Gründe, weshalb ich so gern reise und mir dabei Textilien anschaue.

Erzählen deine Textilien Geschichten?

Mir auf jeden Fall! Immer, wenn ich etwas sehe, das ich gemacht habe, sehe ich auch seine Geschichte: Wann und wo ich das Garn gekauft, das Muster ausgesucht oder die Materialien geschenkt bekommen habe, wann ich daran gearbeitet habe, wie ich mich dabei gefühlt habe, was gerade los war, wie langsam alles zusammengekommen ist. Und dann erinnere ich mich meistens daran, wie ich das Textil später benutzt habe, das Gefühl von Erfolg und Stolz. Wenn ich ein Stück behalte und benutze, sammelt es immer mehr Geschichten an. Ich trage gerade den Pullover, den ich in Island gestrickt und für den Rest meiner Reise durch Europa getragen habe. Wenn ich ihn anhabe, sammle ich neue Geschichten und rufe mir alte ins Gedächtnis. Der Pullover trägt alles Mögliche in sich, vom Bergsteigen über die Suche nach verlorenen Lämmern bis zu Mathehausaufgaben! Es geht also mehr um die persönliche Bedeutung, ich kann deshalb nicht sicher sagen, was jemand anderes beim Blick auf ein bestimmtes Teil empfindet. Es wäre wahrscheinlich weniger greifbar, obwohl ich selbst immer versuche, mir diese persönlichen Geschichten vorzustellen, wenn ich ein Textil betrachte.

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