Arielle Burgdorf ist immer in Bewegung: Aus ihrer Heimat Washington, D.C. zog sie nach Philadelphia, Edinburgh, San Diego, San Francisco und schließlich Pittsburgh, wo sie vor kurzem einen Master of Fine Arts in Kreativem Schreiben begonnen hat. Ihre Texte sind unter anderem bei Maximum RocknRoll, Feministe, The Feminist Review, Horseless Press und Bone and Ink Press erschienen und können hier, hier und hier gelesen werden.

Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Es ist ein ziemliches Klischee, aber ich habe mich schon immer fürs Schreiben interessiert. Als ich so ungefähr 7 war, bin ich zu Kinkos gegangen, habe ein paar Kopien von einer Geschichte gemacht, die ich geschrieben hatte, sie zusammengebunden und allen verkündet, dass ich „ein Buch veröffentlicht“ hätte. Ich habe ständig Texte geschrieben und sie veröffentlicht, egal ob Zines, Buchbesprechungen oder Romane. Während meiner Schulzeit habe ich mich davon entfernt, weil ich mir sicher war, dass ich nicht gut genug wäre um Schreiben zum Beruf zu machen, und dass ich dadurch auch nicht genug Geld verdienen würde. Aber im College habe ich dann Autor:innen wie Lynda Barry gelesen, die davon überzeugt ist, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat, Kunst zu machen, und ich habe angefangen, meine Handlungen als Selbstzensur zu sehen, und was soll das auch? Ich muss nicht am besten sein, damit Schreiben eine Bedeutung für mich hat und mein Leben bereichert oder damit andere Menschen meine Texte mögen. Also habe ich angefangen, mehr und mehr Menschen meine Texte zu zeigen, zuerst meinen Freund:innen, und festgestellt, dass sie wirklich mochten, was ich geschrieben hatte, und das hat mich ermutigt, mehr zu schreiben. Ich denke, ein Teil von mir dachte immer, es sei egoistisch, sogar nur übers Schreiben zu sprechen, aber besonders als Frau gilt: Wenn du dich als Autor:in selbst nicht ernst nimmst, wird dich niemand jemals ernst nehmen.
Hat deine politische Einstellung Einfluss auf deine fiktionalen Texte?
Meine politische Einstellung spiegelt sich vermutlich weniger in meinen Texten, als ich will, aber die Absicht ist immer da. Ich mache es nie super offensichtlich, indem ich zum Beispiel über eine anarchistische Hauptfigur schreibe, die meisten explizit politischen Texte, die ich gelesen habe, haben mir nicht gefallen, das kommt schmalzig und moralisierend rüber und das will ich nicht. Aber ich bezeichne mich als feministisch und queer, was für mich bedeutet, stereotype Narrative zu durchbrechen. Es ist politisch, marginalisierte Menschen ins Zentrum einer Erzählung zu rücken, es ist politisch, wenn diese Figuren die Geschichte glücklich und gesund durchlaufen, und es ist politisch, ein Ende für sie zu schreiben, dass in der heutigen Welt so nicht möglich wäre. Komplexe weibliche Figuren zu erschaffen, ohne sie durch den „male gaze“ zu beschreiben, queere Sexszenen zu schreiben, die nicht darauf aus sind, heterosexuelle, männliche Leser zu erregen, und die Leseerwartungen über eine bestimmte ethnische Gruppe oder ein Milieu zu unterlaufen, all das ist politisch.
Du ziehst häufig um. Wie wirkt sich das auf dein Schreiben aus?
Haha. Das stimmt allerdings! Seit wir uns in San Francisco getroffen haben, bin ich dreimal umgezogen: Nach San Diego, Baltimore und in eine Vorstadt von D.C. (und um ganz ehrlich zu sein, ich habe vor, im Herbst wieder umzuziehen!) Ich dachte immer, die Umgebung hätte einen sehr großen Einfluss aufs Schreiben, aber ich bin mir nicht mehr so sicher. Egal, wo du hinziehst, die Geschichte ist immer da. Bezugspunkte wie Landschaft und Atmosphäre sickern bestimmt ein (es ist zum Beispiel sehr schwierig über düstere Orte zu schreiben, wenn du im sonnigen Kalifornien lebst, und umgekehrt), aber da ich fiktionale Texte schreibe, spielt sich viel in meiner Vorstellung ab. Manchmal erlaubt dir erst ein sehr langweiliger Ort, dich mehr nach innen zu orientieren und etwas Eigenständiges zu erschaffen. Ein Vorteil der vielen Umzüge ist es, dass ich immer neue Leute kennenlerne, mich in neue Perspektiven hineinversetze und feststelle, welche essenziellen Teile von mir unverändert bleiben. Auf der anderen Seite ist es schwierig, Beziehungen aufrechtzuerhalten und Teil einer Schreibgemeinschaft zu werden. Obwohl ich wirklich glaube, dass das mit ein bisschen Anstrengung möglich ist. Mein Freund Max aus San Francisco, der Lyrik schreibt, hat mich zum Beispiel gerade in D.C. besucht, du und ich haben uns kennengelernt, als ich in Belfast couchsurfen war, und ich habe dich mit ein paar meiner Freund:innen aus San Diego/Tijuana bekannt gemacht, die auch schreiben. Ich stelle mir meine Gemeinschaft eher als weltweites Netzwerk vor statt als festen Ort. Es hilft mir, für diese Dinge einfach ein anderes Konzept zu schaffen.
Wie würdest du als ehemalige Bibliothekarin die Rolle von Bibliotheken in der heutigen Zeit beschreiben?
Alle Erhebungen weisen darauf hin, dass sich alles, wofür Bibliotheken in der Vergangenheit standen, überholt hat. Bibliotheken werden immer mehr zu technik-fokussierten Gemeinschaftszentren, es geht um 3D-Druck, Internetnutzung, Unterstützung mit oder Leihe von verschiedenen Geräten, Arbeitssuche und kostenlose Kursen. Und das ist in Ordnung! Ich denke nicht unbedingt, dass das eine schlechte Entwicklung ist. Bibliotheken sollten den Bedürfnissen ihrer Gemeinschaften dienen, und wenn sich diese Bedürfnisse ändern, müssen sich die Bibliotheken mit ihnen ändern, sich anpassen oder aussterben. Es wird immer Nachfrage nach kostenloser Literatur bestehen und manche Menschen (wie ich) werden weiterhin materielle Bücher ausleihen wollen, aber ich denke, dass das schon sehr stark nachgelassen hat. Für mich sind Bibliotheken unglaublich wichtig und immer noch relevant, weil sie zu den wenigen Orten in unserer kapitalistischen Welt gehören, an denen du nicht zahlen musst, nur um dich dort aufhalten zu dürfen (im Gegensatz zu Starbucks), und sie gehören zu den wenigen Orten, die von allen Menschen gleichzeitig aufgesucht werden, unabhängig von Milieu, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Alter oder körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Es gibt nicht mehr viele Orte, an denen obdachlose Menschen mit reichen Menschen interagieren, die auf der Suche nach dem neusten Lonely-Planet-Reiseführer für ihren nächsten Urlaub sind, oder an denen Jugendliche am Computer sitzen, während ihre jüngeren Geschwister in der Vorlesestunde sind, und ich denke, dass diese Interaktion sich positiv auf alle auswirkt.
Du hast in mehreren Punkbands Bass gespielt. Worin liegt der Unterschied für dich, wenn du dich mit Musik oder mit Worten ausdrückst?
Mich durchs Schreiben auszudrücken ist sehr natürlich für mich, Musik machen dagegen nicht. Es ist auf jeden Fall eine Erfahrung, bei der ich viel härter arbeiten und mich konzentrieren muss und das kann ziemlich frustrierend sein. Ich kann außerdem ÜBERHAUPT keine Songtexte schreiben, ich hab’s schon so oft versucht, aber mein Hirn funktioniert einfach nicht so. Ich versuche aber, mir Schreiben wie Musik vorzustellen, einer meiner liebsten Musikkritiker Lester Bangs hatte das Ziel, Musikkritik so aufregend und explosiv zu machen wie Punk und Rock’n’Roll beim ersten Hören – ich weiß nicht, ob jemand es jemals schaffen kann, einen akustischen Eindruck in Worte zu fassen, aber es ist ein tolles Ziel. Musik hat den Vorteil, für alle Menschen direkt zugänglich und empfindbar zu sein, über Sprachen und Kulturen hinweg; ich denke, mehr Autor:innen sollten sich daran orientieren. Genauso denke ich, dass wir großartige Autor:innen ebenso verehren sollten wie Rockstars… Es gibt nur wenige Menschen wie Kathy Acker und Neil Gaiman, die das wirklich geschafft haben.